Stacheldraht

Eine Figur, deren Geschlecht nicht genau bestimmt ist – «vielleicht ein Mann, vielleicht eine Frau und vielleicht jemand, für den Geschlecht etwas Fließendes ist» – und die vor Kurzem Vater oder Mutter geworden ist, hat soeben erkannt, dass im Inneren eines jeden Menschen in der westlichen Welt ein Stacheldraht schlummert, der ständig länger wird, sich nach und nach durch alle Organe bohrt und schließlich zum Tod seines Wirts führt. Atemlos gegen das Verrinnen der Zeit anredend vollzieht die Figur eine Generalabrechnung mit sich selbst und ihrem schizophrenen Dasein zwischen Selbstoptimierung, Alltagsrassismus, Geschlechterungleichheit, Familiendramen und social-media-erfahrenem Gutmenschentum. Trotz seines Tempos und poetry-slamartigen Sprachwitzes ist «Stacheldraht» die bitterböse Bestandsaufnahme einer Gesellschaft ohne wirkliche Bedrohung von außen, die diese Bedrohung nach innen verlagert hat und so den Keim ihrer eigenen Zerstörung bereits in sich trägt.

Als Ersatz für die geplante Veranstaltung im Berliner Ensemble, die am 14. November stattfinden sollte, zeigen wir eine Mini-Webserie. In acht Teilen präsentieren Ensemblemitglieder des Berliner Ensembles in Form von kurzen szenischen Lesungen Auszüge aus den Texten in deutscher Übersetzung, ergänzt werden die Videos durch Interviews mit den Autor*innen.

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